Erste Schritte in die Theaterwelt

Integrative Theaterwerkstatt in Leipheim für Jugendliche mit und ohne Behinderung

Komödie oder Tragödie, Märchen und Utopie, gut oder böse - das Schauspiel fasziniert. Und wer hat nicht schon einmal eine Prinzessin oder ein heldenhafter Cowboy sein wollen? Besonders viele Kinder haben diesen Traum, aber selten eine klare Vorstellung, wie sie in de Rolle schlüpfen können. Denn auch als Laienspieler muss man wissen, wie man spricht und agiert, aus sich herausgeht und Ideen auf der Bühne umsetzt. Bei der integrativen Theaterwerkstatt im Leipheimer Zehnstadel haben 13 Kinder und Jugendliche erste Schritte auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gemacht.
Herbst, ein Mädchen spaziert gedankenverloren durch den Wald, sammelt ein paar Blätter und trifft auf einen Jungen. Ein spontanes, wenn auch sehr zurückhaltendes Gespräch ergibt sich. "Schön, Applaus", ruft Jörn Waßmund, Diplom-Kulturpädagoge aus Hannover, und beendet damit diese kleine Szene zwischen Lisa und Florian. Denn sie haben sich nicht wirklich in einem Wald getroffen, vielmehr sind beide Teilnehmer der integrativen Theaterwerkstatt rund um das Thema "Herbs(t)räume" für junge Menschen mit und ohne Behinderungen im Zehntstadel Leipheim. Dort basteln 13 Kinder und Jugendliche im Alter bis 16 Jahren unter der Leitung von Jörn Waßmund und dessen Assistenten Markus Füllemann, Absolvent der Ulmer Akademie für darstellende Künste, an Ideen und improvisieren daraus kleine Geschichten.
Zum ersten Mal haben sich die 13 Teilnehmer am vergangenen Montag getroffen. Die integrative Werkstatt für junge Menschen mit und ohne Behinderung im Zehntstadel ist Programmpunkt der diesjährigen Kinderkulturtage ‚Kinder kennen keine Grenzen'. Für behinderte Jugendliche hatte man sogar extra Plätze reserviert. "Leider hat sich aber nur ein Mädchen dafür angemeldet", bedauert Cordula Nagel vom Zehntstadel. Aber es sei eine Gruppe, die in einem Alter ist, in der Buben und Mädchen eigentlich noch getrennte Wege gehen. Das weiß auch Jörn Waßmund. "Die Gruppe muss sich im Laufe der Woche noch zusammenraufen. Das betrifft Mädchen und Jungs, Ältere und Jüngere gleichermaßen", so der Kulturpädagoge. Also auch ein gewisser integrativer Ansatz.

Lernen aus sich herauszugehen

"Damit aus Ideen kleinere Szenen werden können, muss man aber auch eine Vorstellung haben, wie man etwas umsetzen kann", erklärt Waßmund. Dies den Teilnehmern näher zu bringen, wird seine Aufgabe für die nächsten fünf Tage sein. Wie also überzeugt man sein Publikum davon, dass man sich nicht in einem kargen Saal befindet, sonder der Darsteller eigentlich in einem Wald spazieren geht?
"Manche Teilnehmer sind von Natur aus selbstbewusster und andere eher schüchtern. Wir müssen nun schauen, dass alle lernen aus sich heraus zu gehen", erklärt der Theaterfachmann seine Aufgabe. Denn das ist später in ersten kleineren Improvisationen und Stücken wichtig. Daher hat er zu Beginn erst einmal kleiner Spiele geplant. So stehen etwas alle im Kreis und werfen sich einen Ball zu: von Lisa zu Manuel, der wiederum zu Evelyn und dann landet der Ball bei Mercedes. Die Schwierigkeit ist aber den Ball so zu werfen, dass der gegenüber ihn auch wirklich fängt. Also nicht zu hoch und nicht zu schief. "Die Kinder müssen lernen, sich gegenseitig zu vertrauen und sich aufeinander zu verlassen", erklärt Waßmund. Denn steht man einmal auf einer Bühne, so warte man ja auch auf seinen Einsatz - also auf den "Ball". Und erst wenn dieser gefangen ist, ist man selbst an der Reihen und agiert. Und damit wiederum, gibt man selbst den "Ball" weiter. Und dass der richtig ankommt, darauf muss sich auch der Mitspieler verlassen können.
Die nächst Entwicklungsstufe sind dann schon kleinere Improvisationen zum Thema "Herbs(t)räume", wie die von Lisa und Florian. "Lisa, geh doch mal im Wald spazieren und sammle ein paar Blätter. Florian, du ebenfalls", sind die wenigen Starthilfen, die Waßmund den beiden Nachwuchsschauspielern gibt. Aber das lässt erst einmal Unsicherheiten bei allen aufkommen. "Was soll ich tun?", "Und was kann ich denn da sagen?", fragen sie. Daß aber ist genau Waßmunds Ziel. Die Jugendlichen sollen nämlich selbst entscheiden, wie eine Szene auszusehen hat, was sie sagen, und was sie tun. Die Leiter geben ihnen nur einen Gedanken vor. "Als ich mich angemeldet habe, habe ich gedacht, wir müssen wie in meiner Theatergruppe Texte auswendig lernen und das machen, was man uns genau vorgibt", erzählt die 13-jährige Evelyn. "Aber selbst Ideen umzusetzen, macht doch viel mehr Spaß." Denn so entstehen dann die schönsten Geschichten...

Günzburger Zeitung, 31.10.2003

(Simone Mayer)